„Hi, ich bin Influencerin. Du auch?“
So stellt sich mir die junge Frau bei einem Event in Barcelona vor. Ich reise als Freelancer an, um die Promo-Veranstaltung ein Wochenende lang zu begleiten. Außer mir sind noch andere Redakteure dabei. Dazu gesellen sich Gewinner einer Mitmach-Aktion und Influencer. Influencer… die Bezeichnung finde ich zwar immer noch sperrig und ehrlich gesagt nicht immer treffend, aber zumindest weiß jeder, wer oder was mit Influencern gemeint ist.
Inhalt:
Let the Influencer-Show begin
Zurück zur Influencerin.
„Hi, ich bin Influencerin. Du auch?“ sie strahlt mich an und streckt mir ihre Hand entgegen. Ich lächle zurück und antworte: „Hi, ich bin Svenja und als freie Redakteurin dabei.“ Ihr Lächeln ist schlagartig verschwunden, sie rümpft die Nase und zieht ihre Hand zurück: „Oh.“ Kehrtwende und weg ist sie. Ein wenig verdattert bleibe ich stehen. Was war das gerade? Wurde ich gerade wegen meines Jobs gedisst? Ich checke es nicht.
Ein Redakteur kommt rüber, der offenbar das kleine Schauspiel aus der Ferne verfolgt hatte und meinem Gesichtsausdruck ansieht, dass ich die Welt nicht mehr verstehe. „Hat eher nichts mit dir zu tun, sie macht schon den ganzen Tag Theater. Vorhin kam sie wutentbrannt zur Rezeption und beschwerte sich lauthals, dass sie schon viel gereist sei, aber dieses Hotel nie und nimmer vier Sternen entspricht.“ ‚Das sind keine 4 Sterne‘ waren ihre Worte. Das amüsiert mich einerseits, andererseits frage ich mich aber auch, wo zur Hölle ich hier gelandet bin.
„Das seh‘ ich gar nicht ein“
Im weiteren Verlauf des Wochenendes sollten die Allüren der Influencerin nicht weniger werden. So beschwerte sie sich zum Beispiel, dass sie keine 6 Instagrambilder posten würde, wie vertraglich festgehalten, sondern nur 4. Grund: Das Hotel ist nicht gut genug und ‚das sieht sie gar nicht ein‘. Das gab sie vor versammelter Mannschaft zum Besten. Protest von Seiten des Veranstalters gab es nicht, stattdessen bemühen sich die Marketingmitarbeiter die Influencerin zu beruhigen. Tatsächlich ziehen sie sie beiseite, um Selfies mit ihr zu knipsen und auf ihren privaten Instagram-Accounts zu posten.
Wer glaubt, das sei ein schlechter Scherz oder eine Übertreibung: ist es nicht. Statt die Influencerin an die vertraglichen Absprachen zu erinnern, sind die Veranstalter überbemüht, die Influencerin zufrieden zu stellen. Der Tanz um’s goldene Kalb.
Als es am Abend Richtung Club ging, bekamen wir eine Erinnerung, unsere Ausweise einzupacken (es war gerade das Wochenende der Proteste in Barcelona, einen Ausweis dabei zu haben war also durch sinnvoll). Ein weiterer Grund für die Influencerin auf die Barrikaden zu gehen: „Ähm, also ich lege sonst auf in Clubs und soll jetzt einen Ausweis zeigen? Das ist nicht euer Ernst, oder?“
Internationale Profis und deutsche Möchtegerns
Die Veranstaltung war international aufgestellt mit Gewinnern, Redakteuren und Influencern aus ganz Europa. Aus Italien sind zum Beispiel ziemliche „Schwergewichte“ angereist: Fernsehmoderatorinnen mit 250.000 Followern auf Instagram. Sie waren höflich und aufgeschlossen, lieferten unterhaltsame Instagram-Stories und hatten ganz offensichtlich Spaß bei der Sache. Und mir wiederum machte Spaß ihren Stories zu folgen. Entertainment at its best.
Die deutsche Influencerin mit ihrer bedeutend kleineren Followerschaft hingehen ließ mich fremdschämen. Sie hatte kein Benehmen, gab die große Diva und lieferte: nichts. Die Bilder knipste ein anderer Influencer, von Beruf Fotograf. Er machte nicht nur ihre Bilder, sondern bearbeitete sie auch noch für sie. Er selbst postete fleißig auf Instagram und gab mit Instagram-Stories ordentlich Gas.
So viel verschenktes Potential
Was mich in dieser Situation ärgerte waren vor allem drei Dinge:
- das fehlende Benehmen und die Überheblichkeit der Influencerin
- das unprofessionelle Verhalten der Marke und somit des Veranstalters, die sich auf der Nase herumtanzen ließen
- die fehlende Verknüpfung zwischen der Influencerin (und ihren Followern) mit dem zu bewerbenden Produkt
Anstatt sich um die Gewinner zu kümmern, die glücklich waren da zu sein, hatten sie nur Augen für die Unverschämtheit in Person. Weder wurden die Gewinner (oder Redakteure) begrüßt, noch beachtet. Stattdessen waren sie dermaßen krampfhaft darum bemüht, der Influencerin zu gefallen. Die Außenwahrnehmung war so verzweifelt und unbeholfen, dass man eigentlich nur noch den Kopf schütteln konnte. Noch dazu kamen sich die Gewinner vernachlässigt vor und teilten das am Ende der Veranstaltung auch mit. Das führte letztlich dazu, dass unheimlich viel Potential einer an sich großartigen Veranstaltung ungenutzt blieb. Weil sich die Mitarbeiter der Marke lieber als Fangirls- und boys einer selbsternannten Influencerin gaben, anstatt professionell zu arbeiten.
Wo sind die Profis?
Nun könnte man sagen „Tja, passiert halt“, aber leider habe ich es schon oft erlebt (wenn auch nicht in diesem extremen Ausmaß) und von Mitarbeitern aus Agenturen gehört, dass so ein Verhalten längst nicht mehr die Ausnahme ist. Das ist das große Problem mit dem Influencer-Marketing in Deutschland: Hierin steckt so viel Potential, doch so lange sich Influencer und Marken so unprofessionell verhalten, müssen solche Marketingaktionen scheitern.
Unterm Strich sind Influencer ein Marketing- und somit Kommunikationskanal. Was gibt es da nicht für Möglichkeiten: gelungenes Storytelling, mutig sein mit Marketingstunts, die im „normalen“ Marketingumfeld nicht möglich sind, was weiß ich nicht alles. Stattdessen wird nur flüchtig auf Followerzahlen geschaut, einmal in den Agentur-Pott aus Influencern gelangt, ein knappes Briefing zusammengeflanscht und raus damit. Was dabei rauskommt, kann man später in der Facebook-Gruppe „Perlen des Influencer-Marketings“ nachlesen…
Influencer-Marketing done right
Dabei gibt es so tolle Beispiele von gelungenem Influencer-Marketing. Influencer haben nämlich die Möglichkeit eine Botschaft zu senden, die im Sinne der Marke ist, aber eben doch eine eigene Sprache spricht. Quasi Werbung, aber ohne den Nervfaktor. Und ein Influencer sollte nicht nur anhand von Followerzahlen identifiziert werden. So viele andere Faktoren sind entscheidend. Denn überlegt doch mal, wie oft ihr von Produkten aus dem Freundeskreis hört und von Leuten, über deren Accounts ihr einfach zufällig gestolpert seid. Da habt ihr nicht als erstes gecheckt, ob sie relevant sind aka viele Follower haben. Was zählt, ist das Vertrauen und ob man sich angesprochen fühlt. Da spielen so viele Emotionen eine entscheidende Rolle.
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Was macht diese Beispiele von Influencer-Marketing erfolgreich?
- Inspirierender Content im passendem Kontext, an dem man hängen bleibt
- Follower, die zum Produkt, das beworben wird, passen
- langfristige Kooperationen, die wiederum Vertrauen schafft
Mein Appell: Liebe Marken, setzt bitte gern weiter auf Influencermarketing, aber macht es richtig. Guckt nicht nur auf Followerzahlen und vertraut Influencer-Agenturen nicht blind. Analysiert eine Zusammenarbeit so, wie ihr es auch bei jeder anderen professionellen Geschäftsbeziehung tut. Vereinbart Ziele. Es gibt so viele spannende Influencer, solche, die wirklich eine Geschichte zu erzählen haben und treue Leser erreichen. Kooperationen können wirklich großartiges hervorbringen, wenn alle mit Herzblut und Professionalität dran sind.
Und übrigens: Wir Leser sind nicht blöde. Wir nehmen wahr, wenn jeden Monat eine andere Kuh durchs Dorf gejagd wird: Sind es diesen Monat noch die Luxushotels der Malediven, kann den Monat drauf kein Influencer mehr ohne den Trolly von Horizn Studios mit USB-Anschluss leben oder ohne Casper-Matratze schlafen. Leute, wir Leser folgen mehr als einem Instagrammer und mehr als einem Blog. Es fällt auf. Setzt doch lieber auf Klasse, statt Masse und behaltet so eure Glaubwürdigkeit.
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