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Reisen. Frauen. Auswandern.
Lea Rieck: Sag dem Abenteuer ich komme

Auf eine Limo mit Abenteurerin Lea Rieck

Weißt du noch, wann du das letzte Mal etwas getan hast, das nichts mit Vernunft zu tun hatte? Wann du zuletzt in einer Situation warst, in der du nicht wusstest, was du tun sollst, weil du sie noch nie erlebt hast? Wann warst du mutig?

Mit diesen Worten leitet Lea Rieck ihr Buch „Sag dem Abenteuer, ich komme“ ein. Was große Abenteuer angeht, neigen viele von uns dazu, so viel wie möglich vorbereiten und planen zu wollen. Los geht’s erst, wenn alles niet- und nagelfest ist.

Weit entfernt von einer perfekten Planung und dem Profidasein auf dem Motorrad, macht sich Lea auf den Weg, einmal mit ihrem Motorrad Cleo um die Welt. Was sie auf der Tour erlebte zwischen einem Militärputsch in Thailand, einer Liebelei mit einem russischen Scharfschützen und einem ordentlichen Sturz inklusive Gehirnerschütterung hält sie auf fesselnd lebendige Art in ihrem Debütwerk fest. 

Ich traf sie auf eine Limo in einem Berliner Café.

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Das Abenteuer beginnt

Lea, erzähl mal kurz, wie kam denn eins zum anderen: von der Idee der Tour zum Aufbruch und schließlich zum Buchdeal?

Ich hatte einen guten Job in München in einem Verlagshaus. Schon recht jung erreichte ich eine hohe Position und es gab nur noch geringe Aufstiegsmöglichkeiten. Deswegen hab mich um einen neuen Job beworben in einer andere Branchen, weil ich eine neue Herausforderung suchte. Damals hab ich aus Jux und Tollerei gesagt „Wenn ich diesen Job nicht bekomme, dann mache ich eine Weltreise mit dem Motorrad”.

Den Job hab ich aber bekommen. Dann stellte ich fest, dass ich aber gar keine Lust mehr drauf hatte, sondern viel lieber die Reise machen wollte. Ich hab dann an einem Montag Abend im Dezember beschlossen, die Reise anzutreten, als meine Volontärin unsere traurige Büropflanze mit Evian-Wasser goss. Das war der Moment, in dem es mich traf: Ich sitze in einem künstlichen Umfeld, in dem Büropflanzen mit Evian gegossen werden.

Ich wollte nur noch raus. Im Januar habe ich meinen Job gekündigt, im Mai ging es los.

Nach Ablauf der Kündigungsfrist hatte ich einem Monat Zeit, um alles zu erledigen. Wie zum Beispiel mich abzumelden aus Deutschland. Eine ganz schöne Bürokratie ist das: Krankenversicherung abmelden, Wohnort abmelden, arbeitslos melden und so weiter.

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Wie lange warst du insgesamt unterwegs?

Ich war 18 Monate unterwegs und bin 90.000 Kilometer gefahren.

Ich hatte eigentlich nicht vor ein Buch zu schreiben. Ich wollte diese Reise einfach für mich selbst machen. Ich habe einen journalistischen Hintergrund und schon während der Reise habe ich in Magazinen und Zeitungen publiziert. Ich bekam währenddessen Angebote von zwei Verlagen, die mich gefragt haben, ob ich nicht ein Buch schreiben möchte. Das habe ich erst einmal abgelehnt und bin mit ihnen so verblieben, dass ich mich melde, wenn ich wieder in Deutschland bin. Zu dem Zeitpunkt war ich ja gerade einmal sechs Monate unterwegs. Meinem Versprechen bin ich treu geblieben und habe mir, als ich wieder in Deutschland war, eine Literaturagenten gesucht. Tja und dann ist irgendwie dieses Buch entstanden.

Das Buch zu schreiben war sehr schön für mich, weil ich nach dem Ankommen meine Reise noch einmal erleben durfte. Beim Reisen selbst merkt man ja gar nicht, wie krass die Dinge sind, die einem da passieren. Es war für mich einfach ein ganz großer Schatz, die Reise noch einmal erleben zu dürfen.

Lieber authentisch erleben, statt für den Social Media Post

Man kennt es ja auch ein bisschen aus der Bloggerszene, dass sich einige Challenges stellen, mit dem Hintergedanken, einen großen Instagram-Account aufzubauen, als Sprecher eingeladen zu werden und so weiter. Bei dir war das nicht so?

Nein, das war bei mir nicht der Fall, mir war der Gedanke an sich auch eher fremd. Auf meinen Lesungen werde ich oft gefragt, warum zum Beispiel nur so wenige Frauen auf meinen Bildern zu sehen sind. Gerade, weil ich unter anderem in muslimischen Ländern direkt in Familien eingeladen wurde. Das lag einfach daran, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, auf Teufel komm raus den Menschen eine Kamera ins Gesicht zu halten, selbst wenn es als Erinnerung schön wäre, oder für Instagram. Stattdessen habe ich die Reise für mich erlebt und erleben können. Ganz authentisch. Nicht für irgendwelche Social-Media-Kanäle. Nicht für einen Nachbericht oder Zeitungsartikel. Ich wollte nichts zwischen mich und diese Erlebnisse stellen.

Ich wollte nichts zwischen mich und diese Erlebnisse stellen.

Klar, hab ich hinterher manchmal gedacht „ach hättest du mal mehr gefilmt und fotografiert”, und ich hab auch irre viele Bilder gemacht, an die 20.000. Trotzdem gab es für mich immer einen Unterschied zwischen dem Erlebten und dem, was ich teilen möchte.

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Die schönen Bilder, die von dir entstanden sind, wenn du zum Beispiel auf eine langen, sich windenden Straße zu sehen bist – hast du die mit Selbstauslöser gemacht?

Ja, man kommt sich zwar manchmal vor wie der Touri-Idiot, wenn man immer wieder auf und ab fährt, aber es wäre ja nicht anders gegangen. Mit Stativ und so genannten Intervallaufnahmen hatte ich die Chance viele Bilder von mir zu machen und am Ende das beste Bild auszuwählen. Beim Aussortieren sind bestimmt 95 Prozent der Bilder aus meinen Intervallbilder-Sessions rausgeflogen.

Am Anfang hab ich es noch mit Selbstauslöser versucht, aber die Intervallaufnahme war die deutlich bessere Option. Ich sehe auch im Verlauf meiner Reise, wie sich die Bilder verändert haben. Von den ersten 2-3 Monaten gibt es kaum Bilder. Je routinierter ich mit dem Stativ und der Intervallaufnahme wurde, desto besser wurden die Bilder.

Hast du den Plan der Reise erst einmal für dich behalten, damit keiner es kaputt reden kann oder hast du eher den Austausch mit anderen Gleichgesinnten gesucht?

Ich bin früher schon oft und gerne alleine gereist. Ich wusste auch, dass ich die Tour alleine machen wollte. Wenn jemand in Frage käme, dann nur aus meinem engsten Freundeskreis, mit denen ich so viel Zeit verbringen könnte und auch möchte. Wie viele Freundschaften und vor allem Beziehungen zerbrechen auf Reisen?

Aus meinem nahen Freundeskreis hat aber erstens niemand einen Motorradführerschein und zweitens hatte niemand Lust so lange eine Auszeit zu machen und drittens nicht in die Länder, die ich bereisen wollte.

Die Idee habe ich erst einmal alleine mit mir herumgetragen und irgendwann einem Freund davon erzählt, mit dem mich das Motorradfahren verbindet. Wir haben uns beim Motorradfahren in den Alpen kennengelernt. Er kommt auch im Buch vor.

Arne?

Ja, genau. Er hat mich gefragt „Was willst du eigentlich machen?”, woraufhin ich antwortete „Ich möchte eine Weltreise mit dem Motorrad machen.” Er war der einzige, mit dem ich über die Weltreise geredet habe, bevor die Entscheidung überhaupt gefallen war. Als dann feststand, dass ich die Reise mache, habe ich meinen Freunden davon erzählt, die eigentlich nur sagten „Passt gut zu dir, viel Spaß und gute Reise!”

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Den perfekten Zeitpunkt gibt es nicht

Würdest du nochmal diese Reise antreten und falls ja, was würdest du anders machen?

Natürlich, ich würde die Reise immer wieder machen… aber was anders machen… Hätte ich die Reise noch nicht gemacht, würde ich sie exakt so wieder machen.

Mit dem jetzigen Wissen, würde ich beim nochmaligen Antreten der Reise eine andere Route wählen, allein schon, um andere Länder zu sehen. Von der Herangehensweise an die Reise würde ich allerdings alles genau so wieder machen. Ich hab natürlich den Vorwurf gehört, alleine loszufahren als Frau mit wenig Fahrkenntnissen mit dem Motorrad sei total naiv.

Ich kann nur sagen, dass nur man selber den Zeitpunkt etwas Neues anzufangen oder etwas Neues zu lernen, bestimmen kann. Niemand anderes. Man kann so eine Reise antreten ganz ohne Erfahrung, denn man lernt alles auf dem Weg. Man muss allerdings wissen, worauf man sich einlässt. Das hat für mich nichts mit Naivität zu tun, wenn man mental darauf eingestellt ist, dass auch mal etwas schief geht und man auch mal hinfällt. Ich wusste einfach, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Hätte ich noch einmal ein Jahr gewartet, wäre der Moment vielleicht schon wieder vorbei gewesen, weil sich andere Dinge in meinem Leben verändert hätten.

Den Zeitpunkt etwas Neues anzufangen oder zu lernen kann nur man selber bestimmen. Niemand anderes.

Den perfekten Zeitpunkt gibt es ja ohnehin nie.

Eben.

Auch wenn du alleine unterwegs warst und krasse Situationen gemeistert hast, gab es durchaus Probleme, bei denen du auf Hilfe angewiesen warst. Fiel es dir schwer Hilfe anzunehmen?

Mein ganzes altes Leben war auf Selbstständigkeit ausgelegt: Mein eigenes Geld zu verdienen, meine eigene Wohnung zu unterhalten… Ich habe nie jemanden um Hilfe fragen müssen. Das war gefühlt auch immer ein rotes Tuch für mich, weil ich mich als starke Frau fühle und glaubte, dass es so zu sein hat.

Es ist mir also irre schwer gefallen Hilfe anzunehmen. Es waren vor allem die Situationen, in denen ich auf Hilfe angewiesen war, in denen ich ins Zweifeln kam und mich unglaublich schwach gefühlt habe. Es ist so ein bisschen der Gegenpol zwischen „Ich kann alles alleine” und „Ich kann das nicht alleine und bin deswegen nichts mehr wert”.

Ich hab auf jeden Fall eine große Lektion auf der Reise gelernt: Wenn ich lerne anderen Leute zu vertrauen und Hilfe anzunehmen, kann ich viel mutiger sein. Ich habe gelernt, dass es einen nicht schwächer macht, wenn man auf Hilfe angewiesen ist, sondern es eine große Stärke sein kann Hilfe anzunehmen.

Wenn ich lerne anderen Leute zu vertrauen und Hilfe anzunehmen, kann ich viel mutiger sein.

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Gab es denn eine Situation, in der du gemerkt hast, dass es ohne Hilfe gar nicht weitergeht?

Das war auf jeden Fall bei meinem Sturz am Anfang der Reise, mitten in der Wüste, bei dem ich auch eine Gehirnerschütterung erlitten habe. Der Lenker war verbogen, Teile abgebrochen…

Also erstens wäre ich aus der Wüste nicht allein wieder herausgekommen, weil ich zu stark auf den Kopf gefallen war, viel zu große Schmerzen hatte und das Motorrad nicht alleine wieder aufgehoben bekommen hätte. Noch dazu hätte ich das Motorrad mit meinem Wissensstand zu dem Zeitpunkt nicht alleine reparieren können. Bieg mal so einen Lenker wieder gerade, das kannst du nicht alleine machen. Das war der erste Moment, in dem ich gemerkt habe, dass es doch alles ein bisschen anders läuft, als ich mir das vorgestellt hatte.

Keine Schande um Hilfe zu bitten

Gab es auch einen Moment, in dem du Zweifel an deinem Vorhaben hattest? Also gerade auch in Anbetracht der selbstdiagnostizierten Gehirnerschütterung?

Ich weiß nicht, ob es wirklich ein Zweifel am Gesamtvorhaben war. Es war auf jeden Fall ein Moment der Schwäche, aber definitiv kein Moment, in dem ich dachte, dass ich wieder nach Hause will. Ich hatte trotzdem den Drive, weiterzumachen. Ich war zu keinem Moment bereit diesen Traum aufzugeben, nur weil irgendwie eine blöde Sache passiert. Ich wollte sehen, was noch passiert. Keine Frage, es kratzt wahnsinnig am Ego. Es sind nicht nur die Schmerzen oder die Schäden, die am Motorrad entstanden sind, sondern man wird ja auch unsicher im ersten Moment. Es sind vor allem Selbstzweifel und ein verletztes Ego, an dem man dann arbeiten muss. Aufgeben wollte ich aber nicht. Das stand überhaupt nicht zur Diskussion.

Aufgeben wollte ich aber nicht. Das stand überhaupt nicht zur Diskussion.

Du bist die ganze Zeit ausschließlich mit Männern unterwegs gewesen. Nur in den Hostels gab es hier und da mal Frauen. Abgesehen davon warst du nur von Männern umgeben. Gab es etwas, das du von ihnen gelernt oder mitgenommen hast?

Ich habe gelernt, dass Männer genauso Befindlichkeit haben wie Frauen. (lacht) Es heißt immer „Frauen streiten sich, Frauen zanken sich, Frauen sind so wahnsinnig kompliziert”… Ich bin in Myanmar mit einer Gruppe Männer gereist, die sich jetzt hoffentlich nicht gleich in meiner Erzählung wiederentdecken. Zwei von ihnen haben sich gezankt wie ein altes Ehepaar. Sie haben sich angeschrien und angemeckert, also lauter Eigenschaften, die Frauen unterstellt werden, wie hysterisch zu reagieren, starke Gefühlsausbrüche zu haben und angepisst wegzufahren. Das haben Sie diese Männer 1A durchgezogen. Allerdings muss ich dazu auch sagen, dass ich es gar nicht so sehr als Männer-Frauen-Ding wahrgenommen habe, sondern es eher im Zusammenhang mit den Extremsituationen der Reise gesehen, in denen auch Männer sehr stark reagieren.

Ich fand es irgendwie ganz schön zu sehen, dass auch Männer verletzlich sind und nicht unberührt von dem bleiben, was sie sehen auf der Reise.

Grundsätzlich lernt man von jedem Menschen, dem man auf Reisen begegnet. Einer hatte zum Beispiel eine super Pumpe, mit der man den Luftdruck kontrollieren und Reifen aufpumpen konnte. Die hab ich mir in der nächsten Stadt sofort gekauft.

Oder auch das Thema Motorradpflege: Jeder hat seine eigene Art und Weise nach so langer Zeit alleine auf dem Motorrad sein Motorrad zu pflegen. Ich war immer schon nach 2 Minuten fertig mit dem Putzen, weil es ja eh wieder schmutzig werden würde, während die anderen noch die Ketten schmierten und ihre Maschinen sauber machen.

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Was ganz Praktisches zum Thema Reifen: Du hast sie zahlreiche Male wechseln müssen. Woher wusstest du, welche du brauchst, wann und wo du wechseln würdest und welche Reifen du bevorzugst?

Für neue Reifen braucht man zu allererst einen Ort, an den sie geschickt werden können. Meistens hab ich sie mir in eine Werkstatt bestellt. In der ersten Hälfte der Reise habe ich mir ein Überlebenspaket nach Tadschikistan geschickt, weil ich wusste, dass es dort keine Läden gibt, in denen ich Teile für große Motorräder kaufen kann.

Die Reifen habe ich nach der Route, aber auch meiner Erfahrung, ausgewählt. Am Anfang gab es relativ wenig Offroad-Touren. Danach erst kam ich in die Gegenden, wo es quasi kein Onroad gab. Nur Schotterstraße. Meine Wahl fiel dort auf 50-50-Reifen, die bisschen Stolle haben und 8.000 bis 13.000 Kilometer halten. Je länger man fährt, desto besser lernt man einzuschätzen, wie lange ein Reifen wirklich hält. Der zweite Faktor ist das Fahrgefühl, das recht subjektiv ist. Man nähert sich den perfekten Reifen ein bisschen nach dem Ausschlussprinzip. Irgendwann hat man zwar seine Lieblingsreifen, die man wiederum aber nicht unbedingt überall bekommt.

Immer, wenn ich in etwa die Hälfte des Reifens runtergefahren hatte, habe ich nachgeschaut, wo ich in etwa 4.000 Kilometern bin. Dort habe ich einen Laden rausgesucht, angerufen und gefragt, ob sie den Reifen bestellen können und bin dann dahin gefahren. Dort haben sie mir die Reifen auch aufgezogen.

Selbst gewechselt habe ich nur einmal den Vorderreifen, will ich einen Platten hatte. Den Hinterreifen kriege ich ohne Hilfe alleine nicht runter, weil die am Rahmen so “sealed” sind. Es ist schon etwas komisch: Meine Motorradsprache ist ausschließlich englisch, mir fehlen manchmal echt die deutschen Wörter. Also dieses Vakuum ist einfach zu stark für mich, sodass ich den Reifen alleine nicht runterkriegen würde. Ohne Werkstatt oder Hilfe wäre es auch hier nicht gegangen.

Wertschätzung für die kleinen Dinge

Ist es nach so einer Reise überhaupt noch möglich wieder in einer Realität wie zuvor zurückzukehren? Ich war ja letztes Jahr von München nach Venedig wandern. Die Rückkehr war für mich echt nicht einfach. Wie ging es dir damit, konntest du wieder in der Realität ankommen?

Tja, was heißt schon Realität? Mein Leben vor und nach der Reise ist so unterschiedlich. Vor der Reise war ich fest angestellt. Das bin ich nicht mehr. Obwohl ich jetzt mehr arbeite, als vorher, habe ich gefühlt trotzdem mehr Freiheit. Ich fühle mich selbstbestimmter. Noch dazu habe ich im Kopf, dass ich einmal so eine Reise gemacht habe und somit immer wieder so eine Reise machen kann, wenn ich möchte. Das gibt mir Ruhe.

Gleichzeitig möchte ich vor der jetzigen Realität gar nicht weglaufen, weil ich es sehr schön fand zurückzukommen. Ich war 18 Monate unterwegs, habe weder meine Familie, noch meine Freunde gesehen. Es war so schön alle wiederzusehen, Zeit mit ihnen zu verbringen. Ich bemerke bei mir eine ganz andere Wertschätzung für die Dinge, die vorher selbstverständlich waren.

Es ist doch auch etwas Schönes, ein Zuhause zu haben.

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Welche Geschichte hat dich am meisten berührt oder lässt dich am wenigsten los?

Ich finde in der Tat eine der berührendsten Geschichten, weil sie so anwendbar auf das normale Leben ist, die von der Frau in Nepal, die mir Geld geschenkt hat. Ihr Prinzip der Mitfreude und des Mitgefühls hat mich sehr bewegt. (Anm.: Als Lea auf ihrer Reise in einer außerordentlich prekären Situation landet, als sich ihr Kleid in der Motorradkette verfängt und vom Körper reißt, hilft ihr eine Frau aus der Patsche: Sie leiht ihr ein Kleidungsstück, flickt ihr Kleid und gibt ihr zum Abschied Geld, damit sich Lea auf der weiteren Reise ein Getränk gönnt – so könne sie Teil von Leas Reise sein. Nichts zu haben und trotzdem so viel zu geben zu haben, sich für andere bedingungslos mitzufreuen, ist wohl die Moral der Geschichte.)

Ich fand gerade diese Mitfreude für andere Menschen beeindruckend. Etwas, wie ich finde, was bei uns in der Gesellschaft ganz oft zu kurz kommt, weil wir so oft schauen, was andere haben. Wir vergleichen uns so oft und wenn man nicht mindestens genau so viel hat, ist man schlechter dran. Sich für andere zu freuen, auch wenn man selber weniger hat, empfinde ich als einen wahnsinnig großzügigen Charakterzug. Das möchte ich auch mitnehmen, weil ich mich nicht mehr vergleichen oder neidisch auf Dinge anderer sein möchte.

Klar, wir leben natürlich in einer Leistungsgesellschaft, die ein stückweit auch vom Vergleich lebt. Es kann ja auch etwas Positives sein, sich durch den Vergleich mit anderen angespornt zu fühlen…

Ja, total. Mir haben auch schon auf der Reise viele Frauen geschrieben. Eine zum Beispiel schrieb mir, dass sie schon so lange überlegt, auch mit dem Motorrad eine Weltreise zu machen, sich aber nie getraut hat. Aber jetzt, wo ich es gemacht habe, traut sie sich auch. Das find ich so cool, dass sie sich hat anstacheln lassen.

Jeder hat ja seine Träume, die er*sie verwirklichen möchte. Manchmal traut man sich einfach nicht, was auch ok ist, denn nicht jeder Traum ist für jeden Menschen gemacht. Wenn der Wunsch aber groß genug ist, bricht man irgendwann auf. Ich hatte mir auch vorgenommen, dass wenn ich auf der Reise feststelle, dass das nichts für mich ist, ich umkehre. Das war mein Motto, weil ich mich nicht in irgendetwas reinreiten möchte, was mir nicht gefällt. Aber bevor ich es nicht ausprobiere, kann ich es ja nicht wissen.

Das ist das Tückische daran, wenn man sich vergleicht: Wenn man gar nicht weiß, was es eigentlich braucht, um an diesen Punkt zu kommen, diesen Job zu bekommen oder was auch immer. Ausprobieren und neu ausloten.Von außen betrachtet sieht halt vieles anders aus. Aber immer nur neidisch rüberzuschauen, ohne zu überlegen, ob es zu einem selbst passt, finde ich eine komische Einstellung.

Welches Land deiner Tour möchtest du noch einmal ausführlicher besuchen?

Oh sooooo viele. Aber nicht alle (lacht). Ich würde sehr gerne mal zurück nach Pakistan, weil es mich so überrascht hat. Vor allem die Gastfreundschaft und weil ich dort viel zu wenig Zeit verbracht habe, leider. Als ich da war, kamen ein paar Dinge zusammen: Pakistan und Indien feierten in Kürze ihre Nationalfeiertage, sodass ich vorher noch über diese Grenze kommen musste aufgrund von Visumsregulationen. Sprich: ich konnte nicht länger bleiben und war in Eile. Ich wäre gerne noch zwei Wochen länger in Pakistan geblieben. Generell haben mich die ganzen “Stans” begeistert: Tadschikistan, Kirgistan… Einfach fantastische Länder, vor allem, weil sie noch nicht so touristisch erschlossen sind.  

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Im Buch schreibst du unter anderem über deinen Vater, der auch einmal in Australien umhergereist ist und dass du dich zu einem Pub aufgemacht hast, in dem er mal war. Hast du mittlerweile ein bisschen in der Vergangenheit deiner Eltern gestöbert und noch mehr über sie entdeckt?

Ein bisschen. Die Reisegeschichten meines Vaters sind irre lustig, in was für Gruppen er unterwegs war und was er erlebt hat. Im Schreibprozess zu meinem Buch haben wir uns ausgetauscht und es war eine schöne Erfahrung, wie die Reisegeschichten von ihm und mir auf ganz natürliche Weise zusammenkamen. 

Es war irgendwie ganz süß, wie meine Eltern Anteil an meiner Reise genommen haben. Meine Mutter vor allem fand es am Anfang katastrophal: Obwohl ihre erste Reaktion ganz cool war, rief sie zwei Stunden später weinend an, weil sie sich Sorgen machte: „Willst du nicht lieber in Europa bleiben?” – „Nee, Mama, nee.”

Im Laufe der Reise sind sie aber mit mir mitgewachsen und irgendwie auch mitgereist. Sie haben angefangen mir mehr zu vertrauen. Als ich zurückkam, hab ich gesehen, dass mein Vater über jeden Tag, den ich unterwegs war, ein Tagebuch geführt hatte. Wenn ich ihnen irgendwas geschrieben habe über WhatsApp oder etwas auf Instagram gepostet habe, hat er jedes Mal die Strecke aufgeschrieben, die ich gefahren bin, die Kilometerstände und fasste so viele Informationen wie möglich zusammen. Ergänzt hat er meine Geschichten mit einem kleinen Kästchen, was er und meine Mutter an diesem Tag gemacht haben. Es ist so süß, alles abgeheftet in einem dicken Ordner zu sehen. Es ist so schön, weil ihre und meine Geschichten über ein Jahr hinweg zusammen dokumentiert sind. Sie sind mir mehr gefolgt, als in den letzten Jahren des normalen Erwachsensein. Ich glaube, dass uns das noch viel näher zusammengebracht hat.

Die letzte Frage: Was kommt als nächstes?

Ich möchte gerne Afrika bereisen. Ansonsten weiß ich nicht so genau. Vielleicht weitermachen, wie bisher oder noch ein Buch schreiben?

Es kann ja auch mal ganz schön sein, keinen festen Plan zu haben. Vielen Dank liebe Lea für das beflügelnde Gespräch. Und jetzt: alle ran ans Buch und mit Fernweh anstecken lassen.

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