Im September 2020 treten meine zwei Koffer und ich die Reise nach Oslo an. Nicht einmal acht Wochen zuvor habe ich mit einem Osloer Freund gechattet und fast scherzhaft geschrieben: „Falls du von einer freien Wohnung hörst, kannst du ja an mich denken.“ Er antwortete, dass seine in Kürze für etwa vier Monate frei sein würde. Damit war der Grundstein für das Projekt „Auswandern nach Norwegen“ gelegt.
Mitten in der Pandemie und nur zwei Tage, bevor die Grenzen zugemacht wurden, schaffe ich es nach Oslo und ziehe in die Wohnung des Freundes. Erst einmal nur temporär. Nach vier Monaten muss ich mich entscheiden: will ich weiterhin hier bleiben oder gehe ich wieder zurück nach Berlin? Ich entscheide mich zumindest für ein paar weitere Monate hier zu bleiben und finde eine kleine Wohnung in meinem Lieblingsbezirk Grünerløkka. Denn so richtig überzeugt bin ich noch nicht von Norwegen. Landschaftlich ist es alles, was ich mir vorgestellt habe. Womit ich allerdings hadere ist die verschlossene Mentalität.
Inhalt:
Verschlossenheit der Norweger: Pandemiebedingt oder Mentalität?
Ich schiebe es vorerst auf die Pandemie, denn Mitten in ebenjener umzuziehen, wirft natürlich nicht das „normalste“ Licht auf die Norweger. Lange sind Restaurants und Kneipen geschlossen, womit die Möglichkeiten Menschen kennenzulernen, begrenzt sind. Also stürze ich mich in neue Hobbies wie Skilanglauf, lasse das Schlittschuh- und Skifahren wieder aufleben, gehe viel wandern, erkunde die Stadt und das Umland. So fit war ich vermutlich selten zuvor in meinem Leben. Es hilft, dass wir einen fantastischen Winter und einen noch fantastischeren Sommer hatten. Ich knüpfe mehr und mehr Kontakte, aber nur die wenigsten sind Norweger. Wenn ich mit Norwegern in Kontakt komme, sind es meist Lebenspartner von Freunden.
Ich versuche auch, sowohl als Freelancerin als auch in Teilzeitstellen, berufliche Kontakte zu knüpfen. Nur um festzustellen, dass mir als Nicht-Norwegerin ein deutlich geringeres Gehalt oder geringerer Tagessatz als Norwegern angeboten wird. Ein gewisses Geschmäckle blieb zurück, denn ich bin kein Einzelfall. In Expat-Facebook-Gruppen und aus dem Bekanntenkreis höre ich es auch.
Als Auswanderer fühlt man sich anfangs oft einsam
Schlechteres Gehalt, gleichzeitig gezwungen sein zu mieten, während der Großteil der Norweger kauft oder von den Eltern hat kaufen lassen, bringt einen immer wieder in die Situation, sich arm wie eine Kirchenmaus zu fühlen. Wenn dann noch 10 bis 14 Euro pro Bier berappt werden müssen, ist es unausweichlich, dass man sich permanent Gedanken ums Geld macht. Ich war bis dato in der privilegierten Situation, mit meinem Gehalt immer gut auszukommen und dementsprechend keine Geldsorgen zu haben.
Hatte ich vor dem Auswandern nach Norwegen gedacht, dass für mich Natur das allerwichtigste ist und somit einer der Hauptgründe für den Umzug, muss ich nach ein paar Monaten feststellen, dass das Ausgehen, mit Freunden mal paar Bierchen zu trinken oder Essen zu gehen, ein mindestens ebenso wichtiger Teil meines Lebens ist. Ich ertappte mich dabei, wie sehr ich das Essengehen oder mal zwei, drei Bier zwischendurch vermisste. Stattdessen trifft man sich bei Freunden zuhause mit Bier aus dem Supermarkt. Klar, ist das auch mal schön, aber wirklich neue Kontakte knüpft man so nicht. Ich fühlte mich zunehmend einsam.
Dann kamen immer mal Hochs, wenn ich meine Touren ins Grüne oder Weiße machte, mit Ski oder Zelt. Aber unterm Strich fehlte eben doch immer was und die Gedanken um das Geld schwebten wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf. Trotzdem sagte ich mir: „Das wird schon.“
Beim Auswandern nach Norwegen denkt man oft ans Geld
Ich versuchte einen Kredit zu bekommen, was als Freelancer aber grundsätzlich schwieriger ist. Sowohl in Deutschland, als auch hier. Eine Festanstellung hier hätte ich mir zwar vorstellen können, aber wie mir die Jobinterviews zeigten, würde ich kein Gehalt bekommen, mit dem ich mir eine Wohnung leisten könnte, die größer als ein Schuhkarton ist. Eine Freundin, auch Expat, bekam einen Kredit und konnte sich für 3,5 Mio NOK eine Wohnung von 23m2 kaufen. Das stellte für mich keine Perspektive da, ich möchte nicht auf so kleinen Raum wohnen und so viel dafür bezahlen.
Als Referenz: Für meine Mietwohnung mit 40m2 bezahlte ich 14.000NOK. Ohne Strom. Auch das tut schon weh, aber immerhin sind es 40m2 und mein großes Sofa passt rein.
Anfang Dezember diesen Jahres, nach 1,5 Jahren in der Wohnung, meldete sich dann meine Vermieterin bei mir. Ihr Zinsen seien erhöht worden samt die „Felleskostnader“ (sowas wie Nebenkosten), weshalb sie meine Miete um 11% erhöhen würde ab dem kommenden Monat. Damit würde meine Miete bei 15.500NOK liegen. Ohne Strom. Und geheizt wird in den schlecht isolierten Häusern mit Strom. Da fasste ich für mich den Beschluss, dass ich aus der Wohnung ausziehen werde. Und das Projekt „Auswandern nach Norwegen“ für beendet erkläre.
Der Entschluss steht: ich gehe nach Schweden
Kurz nachdem ich den Beschluss fasste, meldeten sich schwedische Freunde bei mir, wann ich denn eigentlich wieder zurückkehren würde nach Schweden, mit einem Zwinkersmily. Dann bot mir die britische Agentur, bei der ich seit Mai arbeitete, eine Festanstellung an. Sie hatten erst wenige Wochen zuvor ein Büro in Stockholm eröffnet. Und plötzlich war einfach alles klar: Ich ziehe wieder nach Stockholm.
Ab dann ging alles ganz schnell: Anfang Dezember kündige ich die Wohnung, nehme den Job bei der Agentur an, schreibe Vermieter in Stockholm an und schon am 30.12. habe ich die Zusage für eine zentrale, nagelneue Wohnung mit Balkon. Größer als meine Osloer Wohnung für weniger Miete. Und wenn Dinge wie geschmiert laufen, weiß man, dass man sich richtig entschieden hat.
Auswandern nach Norwegen: Was bleibt von 2,5 Jahren in Oslo?
Was bleibt? Ganz viel Dankbarkeit für das Abenteuer der letzten 2,5 Jahre. Ungebrochene Liebe für die Natur und all die Möglichkeiten, die ich hatte, sie zu erleben. Ich habe
- in 3 Wohnungen gelebt
- tolle Vermieter gehabt
- freelance gearbeitet
- in einem norwegischen Startup
- in einer schnieken Bar gejobbt, in der ich so viel gelernt habe
- habe Langlaufskifahren gelernt
- wertvolle Freundschaften geknüpft wie zum Beispiel mit Maren von Neuschnee, ebenfalls Auswanderin aus Deutschland.
Trotzdem freue ich mich auf das neue Abenteuer in Schweden, auch wenn es heißt, wieder mehr oder weniger bei null anzufangen. Mit dem großen Unterschied allerdings, dass ich dort wieder eine Perspektive habe. Ich kann mich um einen Wohnungskredit bewerben und tatsächlich Wohnungen finden, die jenseits der 23m2 und zentral gelegen sind. Ich habe ein festes Einkommen und kann bezahlten Urlaub machen. Bier gibt’s ab 3,50 € und auch in die Foodie-Szene ist viel mehr los.
Was ich vor meinem Auswandern nach Norwegen nämlich falsch eingeschätzt habe sind vor allem zwei Sachen: die Rolle der EU-Mitgliedschaft für ein Land und dass die Schweden und Norweger ähnlich seien. Dadurch, dass Norwegen kein Mitglied der EU ist, ist die Produktvielfalt deutlich geringer. Importkosten sind hoch, das heißt, selbst wenn mir meine Familie mal etwas zuschicken wollte, kostete der Versand unfassbar viel und im Zweifelsfall kam noch Zoll dazu. Und wenn mal etwas saisonbedingt ausverkauft ist, wie Schlittschuhe, ist es ausverkauft. Im ganzen Land. Und Amazon gibt es nicht.
Meine Denkfehler
Nachdem ich 4,5 Jahre in Stockholm gelebt hatte, nahm ich naiverweise an, dass die Schweden und Norwegen als Nachbarn recht ähnlich sind, so wie ihre Sprachen. Ich hätte falscher nicht liegen können. Das wäre nämlich so, als würde man Deutsche, Österreicher und Schweizer über einen Kamm scheren. Die Unterschiede sind manchmal subtil und manchmal eklatant. Eklatant vor allem beim Mindset, wobei ich hier nur aus meiner persönlichen Erfahrung sprechen kann. Die Schweden nehme ich als „europäischer“ und weltoffener wahr als die Norweger.
Als ich nämlich meine norwegischen Freunde mal fragte, warum sie gegen einen EU-Beitritt stimmen würde, sagten sie einstimmig: „Warum sollten wir? Wir haben doch alles, was wir brauchen und die norwegischen Produkte reichen uns völlig aus.“ Natürlich ist der Blick in dieser Aussage vor allem auf Produktvielfalt ausgerichtet, aber sagt doch so viel mehr über die Mentalität aus: Wir bleiben gerne unter uns. Und das Gefühl hab ich in den 2,5 Jahren leider oft gehabt. Eine Familienfreundin, die seit 25 Jahren hier wohnt, mag es hier zu leben aber sagt, dass sie sich bis heute wie eine Fremde fühlt. Aber sie hat sich damit arrangiert.
Würde ich es wieder tun?
Absolut! Denn nur, wenn man es ausprobiert, wird man schlauer und fragt sich nicht am Ende „was wäre wenn?!“ Ich bin um jede Erfahrung dankbar, die beruflichen, wie auch die persönlichen. Denn darum geht es am Ende ja beim Auswandern: um eine persönliche Erfahrung. Es ist ja nicht so, dass etwas mit Norwegen nicht stimmt. Norwegen und ich waren am Ende kein perfektes Match, weil mir zu vieles fehlt und ich für mein Empfinden zu viele Kompromisse eingehen musste. Vieles wäre mit einem (norwegischen) Partner sicher einfacher gewesen. Dennoch werde ich regelmäßig zurückkehren, weil die Natur unbeschreiblich schön ist.