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Die Oper von Oslo muss man gesehen haben

Auswandern nach Norwegen: Erstes Resüme

Manchmal merkt man nicht, wie schnell die Zeit vergeht. Mittlerweile sind 20 Monate vergangen, seit ich nach Norwegen ausgewandert bin. Vieles ist gekommen, wie ich es erwartet hatte. Anderes wiederum hat mich überrascht, verwundert, irritiert. Es ist an der Zeit für ein Zwischenfazit zum Auswandern nach Norwegen.

Die Wohnsituation in Oslo

Mittlerweile wohne ich in meiner dritten Wohnung. Wer auswandert muss sich vor allem einer Sache bewusst sein: bleib flexibel. Nachdem die ersten vier Monate in der Wohnung eines Freundes herum waren, wartete ich auf das Gefühl, endlich angekommen zu sein. Ich dachte, ich fühle mich ruckzuck zuhause und weiß, ob ich bleiben möchte oder nicht. Denn so war die Absprache mit meinem Kumpel: Vier Monate kann ich seine Wohnung haben und dann entscheiden, wie es für mich weitergehen soll. Doch nach vier Monaten fühlte ich mich vor allem eins: unentschlossen.

Stattdessen verlängerte ich meine Probezeit und suchte mir eine neue möblierte Bleibe. Mein Sack und Pack stand in einem Storage in Berlin und wartete sehnsüchtig auf mich. Ich wollte aber nicht alles herholen ohne zu wissen, ob ich mich hier weiterhin wohl fühle. Sich bewusst für oder gegen etwas zu entscheiden ist wichtig, aber auch eine Frage des Timings. Noch dazu ist es schwierig Entscheidungen zu fällen in einer Zeit, in der sich alles ungewiss anfühlt. Mitten in der Pandemie umzuziehen würde ich niemandem empfehlen. Gleichzeitig will man ja auch nicht die ganze Zeit auf bessere Tage warten. Also muss man in seinem eigenen Leben anfangen für Fakten zu sorgen.

Ein weiteres halbes Jahr war ich in einer sehr kleinen, möblierten Wohnung mit Balkon und Dachterrasse. Sehr klein heißt 25 Quadratmeter. Ich fing zwar an, mich heimischer zu fühlen. Doch ohne meine Habe wollte es sich alles nicht wie ein Zuhause anfühlen. Also beschloss ich, mir eine größere, unmöblierte Wohnung zu suchen und dann meine Sachen herzuholen.

Wenig Wohnraum, viel Natur

Umzug meiner Möbel: Was ein Ritt

Das ist nun die Wohnung Nummer drei: Ich mag die Nachbarschaft, die Wohnung, die Lage. Nach 10 Monaten in Oslo beauftragte ich endlich ein Umzugsunternehmen, meine Sachen herzubringen. Das war alles in allem ein ziemlicher Ritt. Die norwegischen Behörden bekamen während Covid zwar wenig auf die Reihe, erwarteten aber dennoch, dass man Organisatorisches wie eine Personennummer in nullkommanichts am Start hat. Ich wartete insgesamt 10 Monate auf selbige, ohne die man weder ein Konto eröffnen noch einen Handyvertrag abschließen kann. Gleichzeitig sagte mir der Zoll auch, meine Sachen würden an der Grenze nur freigegeben werden, wenn ich die Nummer vorweisen kann. Das stellte sich als ziemlicher (nervenaufreibender) Quatsch herausstellte. Denn wie viele Leute ziehen in ein Land um, ohne all dieses Organisatorische erledigt zu haben.

Nach ein paar nervenaufreibenden Stunden am Telefon zwischen meinem Umzugsunternehmer und den norwegischen Behörden wurde der LKW dann doch noch freigegeben. Nun habe ich meine Möbel, Outdoor-Ausrüstung, Ski, Kleidung, Bücher, Andenken, alles bei mir in Oslo. Ich wäre so gerne ein Minimalist, ein Nomade, der nicht viel braucht. Doch ein Blick auf mein Bücherregal, meinen Kleiderschrank und mein Sofa beweist mir: ich brauche Dinge zum Wohlfühlen.

Arbeiten in Norwegen

Die ersten 14 Monate hier habe ich weiterhin als Freelancer gearbeitet, überwiegend für deutsche Kunden. Das funktionierte prima, aber irgendwie hatte ich das Bedürfnis mich mehr zu integrieren in Norwegen und neue Kontakte zu knüpfen. Ich habe zwar einen Platz in einem Coworking-Space, aber während Covid galten auch hier Abstandsregeln und Mingling-Events fanden logischerweise nicht statt. Ich spielte eine Weile mit dem Gedanken, mich für eine Teilzeitstelle zu bewerben. Schneller als gedacht wurde ich zu Interviews eingeladen. Doch der weitere Bewerbungsprozess zog sich bei allen Unternehmen, von Agentur, zu Startup und Scaleup, zäh und langwierig dahin.

Arbeiten als Bartender

Während sich die Bewerbungen dahinzogen, bot sich mir die Möglichkeit einen Punkt meiner Bucketliste anzugehen: einmal in einer Bar zu arbeiten. Eine Freundin ist Bar Managerin in einem neuen Restaurant. Sie hatte offenbar genug Vertrauen in meine noch nicht vorhandenen Skills und bot mir die Chance mich auszuprobieren. Mittlerweile arbeite ich seit acht Monaten in der Bar und habe unfassbar viel dazugelernt. Ein paar Mal habe ich die Bar auch schon alleine geschmissen, was mich durchaus stolz macht. Dieser Job ist derart meilenweit außerhalb meiner Komfortzone. Mein Puls schnellt immer noch in die Höhe, wenn eine größere Gruppe ankommt. Die tägliche Ungewissheit, ob viele oder keine Cocktails bestellt werden – als Liebhaber von Planbarkeit komme ich regelmäßig an meine Grenze.

Ich möchte dennoch keinen Chaos-Abend missen und bin dankbar um die Chance, die mir geboten wurde. Wie oft nimmt man die Arbeit anderer nur rudimentär wahr und merkt gar nicht, wie viel mehr zum Job gehört. Alleine die langen Schichten, immer zu stehen und erst in den frühen Morgenstunden nach Hause zu kommen hat mehr an mir gezehrt als ich erwartet hatte.

Wer auf Stundenbasis arbeitet, so wie ich, braucht entweder sehr viele Schichten, um über die Runden zu kommen, oder muss sich bewusst sein, dass die Arbeit ein „Luxus“ ist. Luxus deshalb, weil ich in meiner eigentlichen Profession das Vielfache verdiene. Gerade in einer Stadt wie Oslo, ist das Geld leider ein omnipräsentes Thema. Niemals zuvor habe ich mir so viele Gedanken und Sorgen um das Geld gemacht, wie hier in Norwegen.

Arbeiten im Startup

Der Großteil meines bisherigen Berufslebens in Deutschland spielte sich in Startups und Agenturen ab. Dementsprechend ging ist davon aus, dass ich mich schnell wieder reinfinden würde nach fünf Jahren Selbstständigkeit. Ein bisschen Naivität war dabei, denn irgendwie dachte ich, dass mir die Arbeit im Startup und festeren Arbeitsrahmen Spaß machen würde. Und auch, dass sich die Mentalität der Norweger und Schweden nicht so sehr unterscheiden würde, nachdem ich ja etwas weniger als fünf Jahren in Stockholm gearbeitet hatte. Oh boy, was I wrong!

Norweger und Schweden haben weniger gemeinsam als Deutsche und Österreicher. Die Mentalität unterscheidet sich eklatant, im Privaten wie im Beruflichen. Ich erhebe hier natürlich keinen Anspruch auf absolute Objektivität, denn ich kann nur auf meine subjektiven Erlebnisse zurückgreifen. Allerdings habe ich bei meinen letzten Aufenthalten in Schweden öfter das Thema „Norweger“ angesprochen und mir wurden meine Wahrnehmungen bestätigt, dass die Unterschiede groß sind.

Im Beruflichen merke ich, dass ich vor allem mit dem mangelnden Kundenservice hadere, den ich sowohl im Startup beobachte, als auch selbst erlebt habe. Kundenmails bleiben wochenlang unbeantwortet, Kundenzufriedenheit wird für mein Empfinden recht niedrig priorisiert. Ich mag den nordischen Ansatz, Dinge erst einmal auszuprobieren und dann nachzujustieren. Aber manchmal ist das nicht unbedingt ein entspannter Ansatz, sondern naiv. Gerade, wenn es um rechtliche und steuerliche Fragen geht. Mir ging mehr als einmal die Pumpe.

Work-Life-Balance hat höchste Priorität

Zum Positiven: Hatte ich bisher gedacht, die Schweden seien die Meister in Work-Life-Balance ,setzen die Norweger noch einen drauf. Das Startup, in dem ich derzeit bin, ist in einem Business-Park untergebracht mit unzähligen anderen Unternehmen. Um 16 Uhr ist stets tote Hose, alle sind zuhause. Die Mittagspause ist um 11 Uhr, danach geht man eine Runde spazieren. Das ist alles gesund, erklärt aber auch, warum ALLES ewig dauert, von Behörden zu anderen Prozessen. Als leicht angespannte Deutsche muss ich mich immer noch in Geduld üben und versuchen, die norwegische Gelassenheit anzunehmen. Sie würde mit Sicherheit zu einer höheren Lebensqualität beitragen.

Soziales Leben in Norwegen

Eins vorweg: Die Gerüchte über Norweger stimmen. Sie sind verschlossen. Die einfachste Art norwegische Freunde zu finden und sich zu integrieren ist ohne Zweifel wegen des norwegischen Partners herzuziehen. Die zweiteinfachste Art ist schon norwegische Freunde zu haben. Am besten solche, die selbst mal im Ausland gelebt haben und und wissen, wie schwierig es sein kann Anschluss zu finden und weil sie ein weniger „typisch norwegisch“ sind und daher aufgeschlossener und integrierender sind.

Die dritte Art bleibt der Sport: Sei es im Fitness-Studio oder bei einem anderen sozialem Sport, wie Kampfsport, Crossfit oder so – die Norweger sind irre aktiv. Wenn man zudem die Sprache beherrscht, hat man ganz gute Chancen. Während ich in Deutschland bei meinen sportlichen Aktivitäten ab Tag eins Kontakte knüpfte, hat es hier mehrere Monate gedauert: man hat sich mehrmals im gleichen Kurs getroffen, bisschen Smalltalk vor der Trainingseinheit geführt, aber bis man sich mal länger unterhalten konnte, hat es Monate gedauert.

Auswandern nach Norwegen kann manchmal einsam sein

Auf mich traf der zweite Fall zu, ich hatte schon Freunde hier. Wovon ich mich aber verabschieden musste war die Illusion, einen Freundeskreis zu haben, eine Gang, mit der man Dinge unternimmt. Auch wenn ich regelmäßig Freunde auf die Dachterrasse eingeladen und Leute zusammengebracht habe, machen es die Norweger umgekehrt selten bis nie. Ich habe mit einigen von ihnen mal darüber gesprochen. Alle sagten: „Ich habe Freunde für unterschiedliche Hobbies und Aktivitäten, aber ich vermische sie nie.“

Ein paar meiner internationalen Freunde, aus Kroatien, Australien, Schweden verzweifeln ebenso an den Norwegern und ihrem Verständnis von Freundschaften. Am liebsten scheinen die Norweger unter sich zu bleiben, ihre Wochenenden mit der Familie und Partner auf einer Hütte zu verbringen und unter sich zu bleiben. Wie gesagt, das sind meine subjektiven Eindrücke und Input von Freunden, weit entfernt von einer wissenschaftlichen geschweige denn objektiven Erhebung.

Man muss auch bei all der Blenderei auf Instagram zugeben: Manchmal fühlt man sich ganz schön einsam. Vor allem, wenn man eben keinen Partner hier hat, sondern wirklich ganz allein auswandert. Man verlagert seinen Lebensmittelpunkt in ein anderes Land. Die Freunde, die man vor Ort hat, haben ihr eigenes Leben. Man braucht Geduld, bis man wirklich angekommen ist. Ich habe die manchmal einsame Zeit genutzt mit neuen Hobbies anzufangen und mehr alleine zu machen. Ich mag es generell, alleine zu sein, was es mir sicherlich leichter gemacht hat als Menschen, die es kaum ertragen allein zu sein. Maren von Neuschnee einen richtig praktischen und ehrlichen Guide zum Auswandern geschrieben, den ich dringend empfehle.

Auswandern nach Norwegen: Würde ich es wieder tun?

Auf die Frage kann ich mit einem eindeutigen „Ich weiß es nicht“ antworten. Ich bin hergekommen, weil mir in Berlin die echte Natur fehlte. Selbst in Brandenburg im tiefsten Wald hört man immer die Autobahn. Das hat mich wahnsinnig gemacht. In Oslo kann ich nach Feierabend entweder losgehen und bin in 30 Minuten in der Pampa. Oder ich nehme den Bus, die Straßenbahn oder U-Bahn und bin in kürzester Zeit in der stillen Natur. Herrlich! Gerade im Sommer um 17 Uhr den Rucksack zu packen und entweder auf eine der Inseln zu fahren oder in die Wälder rund um Oslo: Absoluter Luxus.

Gleichzeitig zehren die hohen Lebenshaltungskosten an mir. Hohe Miete, keine Chance auf einen Wohnungskredit als Freelancer, teure Lebensmittel, auswärts essen und trinken fühlt sich wie Luxus an… Ich merke dann immer, wie wichtig genau dieser Teil meines Lebens immer war. Hier muss ich oft darauf verzichten. Ich liebe es, Restaurants zu testen, in Bars zu versacken, auf Konzerte zu gehen. In Oslo mache ich das nur noch selten, weil es schlichtweg zu teuer ist. Zudem kommt die Gastro-Szene an die von Berlin nicht einmal ansatzweise heran.

Man lernt sich selbst neu kennen

Hier habe ich tatsächlich unterschätzt, wie wichtig mir das Ausgehen ist. Mir Gedanken und Sorgen um die Finanzen zu machen, kannte ich bis Oslo nicht. Auch wenn Berlin in den letzten Jahren stetig teurer geworden ist, ist die Lebenshaltung dennoch bedeutend günstiger. Gleichzeitig hat die Natur hier alle meine Erwartungen erfüllt. Immer, wenn die Sorgen drohen mich zu erdrücken, reicht ein halber Tag in der Natur, dass ich mich wieder leichter und besonnener fühle. Ich erinnere mich dann daran, dass ich DESWEGEN hierher gekommen bin.

Ich hab neue Hobbies für mich entdeckt, wie Skilanglauf und Zelttouren, denen ich kostengünstig, nahezu gratis nachgehen kann. Auch die leicht erreichbaren Reiseziele innerhalb Norwegens sind phänomenal, wie Ålesund, Loen, Rondane, Lofoten oder schlichtweg die Inseln im Oslo Fjord. Dafür bin ich gewillt, andere Dinge wie Restaurantbesuche und eine größere Wohnung, vorerst ad acta zu legen. Langfristig weiß ich noch nicht, wie und wo es weitergeht. Sei es hier in Norwegen, aber mit einem festen Job, der mir mehr ermöglicht. Sei es der Wohnungskredit, mehr Urlaub und generell mehr Ruhe. Oder ob das kulturelle und kulinarische Leben doch zu wichtig ist und ich noch einmal wo anders meine Zelte aufschlage.

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