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Heike Kleen: "Das Tage-Buch"

Heike Kleen: „Das Tage-Buch“

Ist es möglich, mit der Menstruation eine Revolution anzuzetteln? Eine rote Revolution sozusagen? Das klingt erst einmal seltsam, aber je länger man aber darüber nachdenkt, desto genialer klingt die Idee von Autorin Heike Kleen – aber mehr dazu in Kürze. Und jetzt überlegt doch mal: Habt ihr euch jemals vor Männern über eure Menstruation unterhalten, Tampons ausgetauscht und euch über die neuesten Trends aka Livia, Thinx und Menstruationstassen unterhalten? Eher nicht, einmal abgesehen von ein paar Ausnahmen.

Zu groß ist die Angst, einer der Anwesenden könnte sich unwohl fühlen oder gar schockiert sein. Ich erinnere mich noch lebhaft, als eine Freundin unbemerkt während des Capoeira-Trainings ihre Tage bekam und ihren roten Schritt beim nächsten Radschlag den Männern entgegenreckte. (Dazu muss man wissen, dass beim Capoeira immer in schneeweißen Hosen trainiert wird. Der „Unfall“ war also nicht zu übersehen.) Die Männer in der Runde schauten beschämt und schockiert weg, während die anwesenden Damen sie diskret auf den roten Fleck aufmerksam machten.

Die Menstruation fristet bisher eher ein Schattendasein und wird unter Freundinnen und Kollegen zwar ausgetauscht, man bittet sich gelegentlich um Tampons oder Schmerztabletten, aber das war es dann auch schon. Dafür, dass wir einmal im Monat bluten, findet sich die Periode nur wenig in den Gesprächen wieder. Und dann auch eher mit Decknamen: die rote Woche, Erdbeerwoche, Tante Rosa ist zu Besuch, Lingonvecka (schwedisch für Preiselbeerwoche), that time of the month… So kann das doch nicht weitergehen! Das fand auch Heike Kleen. Als die Journalistin anfing über die Menstruation zu recherchieren. Sie wollte verstehen, warum wir über unsere monatliche Blutung kaum reden und sie, wie es scheint, eins unserer letzten Tabus ist.

Noch heute werden in vielen Ländern Frauen während ihrer Periode aus der Gemeinschaft verstoßen. Sie fristen in der ohnehin schon unangenehmen Zeit ein jämmerliches Dasein in Lehmhütten, sind gezwungen in Erdlöcher zu bluten und werden als Unreine von allen zwischenmenschlichen Aktivitäten ausgeschlossen. In Europa muss zwar keine Frau in einer Lehmhütte wohnen, aber von einem entspannten Umgang mit unseren Tagen sind wir noch weit entfernt. Warum das so ist, was sich schon verändert hat und was sich noch verändern muss beschreibt sie in ihrem unterhaltsamen Buch „Das Tage-Buch. Die Menstruation – alles über ein unterschätztes Phänomen“. Wir haben Sie zu ihrem Buch interviewt und ihrem Aufruf zur Revolution.

Auf ein Gespräch mit Heike Kleen

Heike Kleen


Liebe Heike, wie würdest du dein Buch in einem Satz zusammenfassen?

Das „Tage-Buch“ ist eine amüsante und informative Auseinandersetzung mit unserem letzten Tabu, der Menstruation.

Ich war mir beim Lesen des Buches nicht ganz sicher, an wen du dich richtest: mal sind es junge Mädchen, dann Mütter aber auch Männer. Wie stellst du dir deine Leser vor?

Ich möchte mich an alle richten, an Frauen jeden Alters, aber auch an Männer. Junge Frauen profitieren davon, wenn sie entspannter mit dem Thema umgehen oder einfach erfahren, was gegen Schmerzen hilft und welche neuen Hygieneartikel für sie interessant sein könnten. Wenn Mütter sich ihren Kindern gegenüber bei dem Thema locker machen, profitieren alle, und gerade ältere Frauen, die das Thema längst hinter sich gelassen haben, erzählen mir plötzlich, wie sehr sie früher darunter gelitten haben, wie sie sich bei kleinen „Unfällen“ geschämt haben und dass es so ein Buch schon vor 50 Jahren hätte geben müssen. Ich habe den Eindruck, dass denen das Buch beim „Aufarbeiten“ selbst im Nachhinein hilft.

Natürlich wünsche ich mir auch männliche Leser, weil es so schön wäre, wenn Männer ihren Frauen und Töchtern signalisieren, dass die Menstruation nichts Unangenehmes ist, über das man lieber schweigt oder demonstrativ weghört oder das Gesicht verzieht.

Mal Hand auf’s Herz, welcher Mann würde ohne Drängen seiner Frau dein Buch kaufen und lesen?

Ich bin mir sicher, dass kein Mann sich das Buch freiwillig kauft. Aber wenn er in das Buch seiner Frau mal kurz reinliest oder sie ihm eine Stelle vorliest, die ihr gefällt, ist das auch schon was. Die Männer, die das Buch bisher gelesen haben, haben es entweder aus beruflichen Gründen getan oder weil sie mich kennen. Aber von denen habe ich immerhin ein positives Feedback bekommen, nach dem Motto: Was ich alles nicht wusste! Und: Ich hab mich gut amüsiert, das war ja gar nicht eklig!

„Menstruation ist eklig – das haben wir gelernt“

Warum haftet deiner Meinung nach der Menstruation noch immer so ein Igitt-Igitt-Image an?

Das haben wir über Jahrtausende so gelernt, die Menschheit hat sich große Gedanken darüber gemacht, warum Frauen regelmäßig bluten. Und weil Blut eher mit Krankheit oder gar Tod assoziiert wurde, kam man/Mann zu dem Schluss: Mit der Frau stimmt was nicht, da gab es verschiedene Theorien im Laufe der Geschichte: Die Körpersäfte sind im Ungleichgewicht, die Frau ist ein unfertiger Mann sprich ein schadhafter Prototyp, die Frau bewegt sich zu wenig und isst zu viel…

Dass dieses Blut nun ausgerechnet aus einer Körperöffnung kommt, für die die meisten Männer sich besonders interessieren, machte die Sache besonders gruselig. Und so begann man, die Frau an diesen Tagen aus der Gesellschaft auszuschließen, so wie es in vielen asiatischen und afrikanischen Ländern bis heute ist. Selbst 1920 verbreitete ein österreichischer Mediziner die „wissenschaftliche“ Erkenntnis, dass Frauen während der Menstruation eine Art Gift verströmen, und noch in den 1970/80er Jahren hielt man sie lieber aus Röntgenpraxis, vom Wurstmachen, Einkochen und Blutspenden fern. Frauen lernten über die Jahrhunderte, dass ihr Körper etwas macht, das inakzeptabel ist und das man bitte zu verstecken hat. Das ist heute natürlich nicht mehr so schlimm wie vor 50 Jahren, aber ein Tabu ist es immer noch.

Wann wäre für dich das Ideal erreicht in puncto Menstruation?

Das Ideal haben wir erreicht, wenn wir so ein Buch wie meins gar nicht brauchen, weil das Thema völlig normal ist. Man redet dann nur darüber, weil es etwas Dringendes zu besprechen gibt – und nicht weil wir gegen religiöse Ideen, gelernte Verhaltensmuster oder manifestierte Überzeugungen ankämpfen müssen.

Beim Lesen hab ich manchmal das Gefühl gehabt, dass die Menstruation stellvertretend für mehr als nur die monatliche Blutung steht? Liege ich damit richtig?

Ja, genau so ging es mir bei der Recherche auch. Es geht nicht um etwas Biologisches, sondern darum, was dieser völlig natürliches Prozess mit den Frauen macht bzw. dass Männer die Menstruation als Anlass gesehen haben, die Frau als etwas Minderwertiges oder Unreines zu sehen. Das haben die alten Griechen sich so überlegt, auch die verschiedenen Religionen erklärten die Frau für unrein, ihr wurde seit tausenden von Jahren eingeredet, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Und wenn man sich anguckt, wie schwer Frauen sich bis heute damit tun, ihren Körper zu mögen und alles Mögliche tun, damit er den Männern gefällt, kann man schon mal ins Grübeln kommen…

„Es gibt Forscher, die sagen, PMS gibt es nur, weil wir so angestrengt mit dem Thema umgehen.“

Die Menstruation wird nachhaltig

Frauen und Männer reden so gut wie nie über die Menstruation. Was denkst du, würde sich verändern, wenn die Menstruation genauso in Gesprächen stattfindet, wie zum Beispiel die Abendessensplanung?

Gute Frage, es ist so schwer vorstellbar. Ich denke, es würde Frauen einfach entlasten, weil sie dann kein Tabuthema mit sich rumschleppen, das es auf Teufel komm raus zu vertuschen gibt. Man würde gar nicht viel darüber reden müssen, aber man müsste auch nichts verstecken, verheimlichen, sich doof fühlen oder heimlich Tampons unterm Tisch durchschieben. Es gibt Forscher, die sagen, PMS gibt es nur, weil wir so angestrengt mit dem Thema umgehen.

So weit würde ich nicht gehen, aber ich habe mit einer Sanitäterin gesprochen, die mir erzählte, dass es gerade unter Krankenschwestern oder Pflegekräften verbreitet ist, dass die Frauen während ihrer Tage mehrere Unterhosen übereinander tragen, weil sie einfach keine Zeit haben, regelmäßig zur Toilette zu gehen und gleichzeitig die ganze Zeit einen Horror davor haben, dass doch was durchsickert. Das ist doch kein Zustand! Da muss natürlich in erster Linie an unserem Gesundheitssystem etwas geändert werden, aber wenn Frauen offen über ihre Menstruation reden würden, sich geschlossen hinstellen und sagen würden: Wenn wir unsere Tage haben, müssen wir uns hier anders organisieren! Wäre das vielleicht ein kleiner Schritt? Das geht aber erst, wenn man offen damit umgeht.

Was war für dich in den letzten Jahren der größte Schritt, der sich bei der weiblichen Menstruation und allem, was dazu gehört getan hat?

Das Thema sickert so langsam in das Bewusstsein der Medizin und Forschung. Endlich kommen Menschen auf die Idee, dass man dem Blut vielleicht auch was anderes als Watte entgegensetzen kann oder dass das monatliche Blut wertvolle Informationen über die Fruchtbarkeit und die Gesundheit enthält, die man auswerten kann. Erst seit Kurzem beschäftigen sich unzählige Startups mit Menstruationskappen, nachhaltigen Hygieneartikeln oder den Zusammenhängen zwischen Ernährung und Menstruationsbeschwerden. Das ist toll!

Heike Kleen: „Als Apple seine erste Fitness-App ins Leben gerufen hat, konnten alle möglichen Informationen des Körpers gespeichert werden – nur die Menstruation hatte bei den Apple-Jungs niemand auf dem Zettel.“

Wenn wir keine Interview mehr über die Menstruation führen sind wir angekommen

Die schreibst in deinem Buch sowohl von der Geschichte der Frau in den letzten Jahrhunderten, als auch über technische Neuerungen. Welchen Einfluss siehst du bei Apps wie Clue?

Clue wurde ja eigentlich von Ida Tin erfunden, damit Frauen ungefähr wissen, wann sie schwanger bzw. nicht schwanger werden können. Vor allem in Ländern, in denen sie keine Möglichkeiten zur Verhütung haben. Als Apple seine erste Fitness-App ins Leben gerufen hat, konnten alle möglichen Informationen des Körpers gespeichert werden. Nur die Menstruation hatte bei den Apple-Jungs niemand auf dem Zettel. Inzwischen wurde nachgerüstet, und die wachsende Anzahl solcher Apps zeigt, dass das Thema Menstruation so langsam enttabuisiert wird. Auch mithilfe der Technik. Abgesehen davon finde ich es unheimlich praktisch, auf dem Handy nachzugucken, in welchem Stadium mein Unterleib sich gerade ungefähr befindet.

Können dein Buch, Menstruationsapps, technische Anwendungen wie Livia, Thinx Menstruationsunterwäsche und Menstruationstassen tatsächlich der Anfang von etwas viel Größerem sein?

Das hoffe ich sehr! Möge die Rote Revolution kommen! Und wie gesagt, wirklich angekommen sind wir, wenn bei dem Thema keiner mehr die Augen verdreht und wir keine Interviews führen müssen, sondern wenn Männer und Frauen in einem Unternehmen gemeinsam und ohne dumme Sprüche überlegen. Was können wir denn noch Geniales für die Frau erfinden, was ihre Gesundheit nicht gefährdet und ihr das Leben leichter macht? Und natürlich wünsche ich mir sehr, dass eine entspanntere Einstellung in Europa und in den USA und irgendeine geniale Erfindung rüberschwappt in die Länder, in denen Frauen bis heute einmal im Monat ausgegrenzt und gedemütigt werden und noch nicht einmal Hygieneartikel zur Verfügung haben.