Alles fing mit dem Experiment an, einen Monat lang vegan zu leben. Einfach, um es auszuprobieren, was es mit mir macht. Ich verzichtete auf alle Milchprodukte, Eier und schaute genauer auf Labels und Inhaltsstoffe, sowohl bei Lebensmitteln, als auch bei Kosmetik. Ich hielt den einen Monat mehr oder minder durch. Mehr oder minder meint, dass ich zwei kleine Ausrutscher hatte. Schwamm drüber, könnte man sagen, aber am Ende meines Experiments achtete ich nicht darauf, was ich alles geschafft und dazugelernt hatte, sondern fokussierte mich auf die zwei „Ausrutscher“: Ich hatte einmal Käse und einmal etwas mit Ei gegessen. Und schon war der vegane Monat für die Katz.
Doch mal abgesehen von dem Projekt „Vegan für einen Monat“ versuche ich weitere Beiträge zum Umwelt- und Tierschutz zu machen. Getränke werden ohne Strohhalme bestellt (weil Weltmeere und Schildkröten), überall schleppe ich meine Wasserflasche mit mir herum, habe immer Jutebeutel dabei (weil Plastiktüten in den Mägen von Walen landen) und trenne akribisch Müll (obwohl es immer wieder Stimmen gibt, die behaupten, dass Mülltrennung zuhause überflüssig sei). Außerdem kaufe ich nur noch Kleidung, die ich entweder wirklich brauche oder die nachhaltig und fair produziert ist.
Gleichzeitig bestelle ich aber allen möglichen Kram auf Amazon. Zum Einen, weil mich allein der Gedanke, die ganze Stadt zu durchforsten nach Gegenstand xy, um dann doch unverrichteter Dinge nach Hause zu kommen oder ewig im Elektro-Fachmarkt Schlange zu stehen – nein danke. Hier siegt meine Bequemlichkeit und steht im krassen Kontrast zu meinen sonstigen Bemühungen.
Deswegen habe ich mich gefragt: Reicht es aus, vegane Kosmetik zu kaufen, sie aber gelegentlich über Amazon zu bestellen? Reicht es aus, immer einen Einkaufsbeutel dabei zu haben, aber dennoch gelegentlich in den Urlaub zu fliegen? Ich wünschte, ich könnte eine klare Antwort darauf geben.
Inhalt:
Immer diese Schuldgefühle
Mein Mann, großer Fan des Philosophen Richard David Precht, erzählte mir einen Abend von einem Interview zwischen Precht und Prof. Dr. Hartmut Rosa. Letzter kam zu dem Schluss, dass wir aufgrund unserer permanenten Zeitoptimierung und Selbstoptimierung und unseren hohen Ansprüchen an uns selbst jeden Abend schuldig zu Bett gehen. Auch wenn Rosa eher von der begrenzten Zeit als Problem sprach, lässt sich sein prägnanter Satz auf viele unserer Probleme und auch auf mein Hadern mit mir selbst anwenden.
Wir gehen jeden Abend schuldig zu Bett. (Prof. Dr. Hartmut Rosa, Zeitforscher)
Genau das trifft es auf den Punkt. Bei all den Versuchen, die Welt ein wenig besser zu machen, wabert immer diese Wolke aus „Was bringt es überhaupt?“ über unseren Köpfen. Scheinbar ist es für alles schon zu spät und für haben es nicht einmal mehr in der Hand.
Neulich brannte eine Diskussion auf meiner Facebook-Seite, nachdem ich den IPCC-Report gepostet hatte mit einem emotionalen Aufruf, dass wir alle etwas tun müssen. Während zwar der Großteil der Personen zustimmte, äußerten sich zwei meiner Facebook-Freunde, dass bevor Menschen in Afrika bzw. armen Ländern nicht aufhören so viele Kinder zu zeugen, sie nichts an ihrem eigenen Verhalten ändern würden. Laut ihrer Meinung ist die Überbevölkerung das größte Problem (dem stimme ich zu), allerdings tue ich mich sehr schwer damit jegliche Verantwortung von sich selbst zu weisen. Denn wie sagte dieses schöne Meme: „It’s only one straw“ – said 7 billion people.
Wir alle sind verantwortlich und wir alle können etwas tun.
Eigentlich können wir doch nur verlieren, oder?
Obwohl viele von uns versuchen, mit der Ernährungsweise einen Beitrag zum Tier- und Umweltschutz zu leisten, fühlen wir uns am Ende schuldig, weil wir es für unser Empfinden nicht konsequent genug durchziehen.
Wir sind die erste Generation, die die Auswirkungen des Handelns unserer Vorfahren zu spüren bekommt. Das Mantra „einfach weitermachen und sich für das Gute einsetzen“ klingt etwas profan und wenig ermutigend, aber was bleibt uns anderes übrig? Fair ist das alles gerade nicht, aber was im Leben ist schon fair?
Jeder kleine Schritt ist ein Schritt in die richtige Richtung
Lange Rede, kurzer Sinn: Diese Art von Perfektionismus ist Stress und Druck pur. Nicht nur ich versuche so viel wie möglich richtig zu machen. Vielen meiner Freunde handhaben es ähnlich. Vegane Bio-Lebensmittel, Naturkosmetik, biologisch abbaubares Waschmittel, kein Plastik, Butterbrotdosen aus Metall, 5 Minute Beach-Clean-Up – ihr alle kennt die Trends.
Doch egal, wie sehr ich mich bemühe, nachhaltige Entscheidungen zu fällen, ich habe immer das Gefühl, dass es nicht genug ist. Ich allein kann nicht genug bewegen. Das, was ich beeinflussen kann, ist nur ein verschwindend winziger Teil. Die Weltmeere werden durch eine Veränderung meines Verhaltens nicht sauber. Der Druck ist enorm und wir können eigentlich nur verlieren bei diesen hohen Ansprüchen. Denn kein Mensch ist perfekt.
Aber ist die Lösung, nun doch alle Prinzipien über Bord zu schmeißen?
Nein, bestimmt nicht.
Jeder kleine Schritt in eine nachhaltigere Zukunft ein Schritt in die richtige Richtung ist. Ob man einmal im Jahr einen Pappbecher für seinen Kaffee nimmt, wird unsere Welt nicht ruinieren. Aber die Summe macht’s. Ist es daher nicht deutlich gesünder für die eigene Ausgeglichenheit, auch mal Fünfe gerade sein zu lassen? Schwächen zuzulassen, selbst wenn man sonst immer bewusste Entscheidungen fällen möchte?
Daher mein Vorschlag, um ein wenig gelassener und ausgeglichener ans nachhaltige Ziel zu kommen: Lasst uns versuchen, uns weniger Druck zu machen und dennoch das Ziel einer nachhaltigeren Welt nicht aus den Augen zu verlieren. Lasst uns weiter auf dem Laufenden bleiben, wie unser Verhalten die Umwelt beeinträchtigt und unser Verhalten überdenken. Wenn man eine neue Jeans tut, sollte das faire, nachhaltige Label den Vorrang haben. Lasst uns versuchen ein gesundes Maß zu finden und dennoch unser Bestes zu geben – aber ohne die krampfartige Verbissenheit.
Wer ist dabei?
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