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Neuanfang während Corona: Mein Umzug nach Oslo

Neuanfang während Corona: Mein Umzug nach Oslo

Zehn Jahre lang habe ich davon geträumt, wieder in den Norden zurückzuziehen. Seit ich 2010 während der Finanzkrise aus purer Vernunft Stockholm verließ, um einen Job in Berlin anzufangen, hing mein Herz unentwegt an Skandinavien. Nach sechs Monaten auf Jobsuche in Stockholm ohne Berufserfahrung musste ich aber einsehen, dass ich Geld verdienen muss. Das würde vorerst nicht in Stockholm klappen, zumindest nicht vor dem Ende meiner monetären Rücklagen.

Vernunft war noch nie meine Stärke, stattdessen folge ich immer dem Bauch, dem, was sich richtig anfühlt. Wochenendtrips, Silvester, längere Reisen, alles musste irgendwo im Norden sein. Besondere Highlights waren die Reisen zu Hochzeiten von Freunden in Oslo, Stockholm, Malmö und Kopenhagen. Wie oft flossen die Tränen, als die Heimreise anstand, denn ich wollte nie zurück nach Berlin. Alles in mir wehrte sich. Obwohl ich tolle Freunde habe und immer wieder berufliche Herausforderungen fand, hab ich mich einfach nicht zuhause gefühlt.

Umzug ohne Rücklagen, geht das?

Aber ohne Rücklagen, ohne dass mein Mann mitkommen wollte, weil er als Ur-Berliner nunmal seine Stadt liebt, rückte der Traum in nahezu unerreichbare Entfernung. In den letzten fünf Jahren wurde es mit meinem „Ich-muss-hier-raus-Gefühl“ so schlimm, dass ich nur noch über Berlin schimpfte. Unabhängig davon, dass ich dort die wohl großartigsten Freunde habe, eine Traumwohnung bewohnte und beruflich gut voran kam. Aber das, was ich wirklich wollte, war der Norden.

Gut Ding will Weile haben

Mit dem Brecheisen wollte ich es erzwingen und merkte kaum noch, wie sehr ich mich selbst damit unter Druck setzte und den Blick für das Hier und Jetzt verlor. Ich vergaß immer wieder aus der Bahn auszusteigen, sowohl auf dem Weg zur Arbeit als auch auf dem Heimweg. Zu groß war das Unglück darüber, gefühlt gefesselt an Berlin zu sein.

Immer wieder fanden sowohl ich, als auch mein Mann Erklärungen dafür, warum es mit dem zumindest temporären Umzug gerade nicht passt: „Fass doch erstmal beruflich Fuß mit deiner Selbstständigkeit…“, „Die Hochzeit war so teuer, wir sollten erst einmal sparen…“, „Ich hab gerade eine neue Stelle angefangen, lass uns mit 40 das Ganze nochmal angehen…“, „Wann planen wir denn eigentlich Kindern?“. Alles wichtige Fragen, aber gefühlt landete das, was man das pralle Leben nennt, auf dem Abstellgleis. Zugunsten von Sicherheiten gab es kein Risiko mehr. Ich hatte das Gefühl ein Auto zu fahren mit angezogener Handbremse und wusste nicht mehr, wie ich die Routine durchbrechen konnte.

Eins stand fest für mich: Ich will in den Norden.

Manchmal ist der Weg ans Ziel aber nicht der direkte, geschweige denn der Erzwungene. Stattdessen ist oft der sanfte Weg der Bessere oder zumindest der Gesündere. Denn manchmal hat das Leben, Schicksal oder wie auch immer man es nennen mag, seinen ganz eigenen Plan. Nachdem letztes Jahr mein Leben plötzlich eine sehr unerwartet Wendung nahm, ich mehrfach innerhalb Berlins umzog und schließlich dieses Jahr im Februar eine neue temporäre Bleibe bezog, beschloss ich, einfach dem Flow zu vertrauen.

Alle „Das-muss-jetzt-aber-gehen-Zwänge“ versuchte ich abzulegen und Dinge einfach mal geschehen zu lassen. Ich versuchte darauf zu vertrauen, dass alles so kommt, wie es kommen soll. Einen nicht geringen Anteil daran trägt sicherlich auch die globale Pandemie, die alles bisher Dagewesene aushebelt. Ich entspannte mich immer mehr, entwickelte neue Routine, versuchte das Nichtstun zu erlernen. Und das tat verdammt gut.

Irgendwo zwischen Freelance-Aufträgen, dem Blog und viel Sport fand ich eine Ruhe in mir, die mir völlig neu war. Eine Zufriedenheit mit dem, was ich habe, nämlich Freunde, eine unterstützende Familie und alles in allem ganz schön viel Glück. Denn als Freelancer in einer Stadt wie Berlin mal eben eine Wohnung zu finden ist alles andere als selbstverständlich. Diese Wohnung wurde innerhalb weniger Tage mein Refugium. Endlich atmete ich wieder durch.

Manchmal sind es Zufälle

Bei einer eher zufälligen Facebook-Unterhaltung mit einem Freund aus Oslo ließ ich den Satz fallen: „Falls du mal von jemandem hörst, der seine Wohnung vielleicht so ab Herbst vermieten mag, sag Bescheid.“ Postwendend antwortet er: „Ja, ich! Ab September gehe ich nach Portugal und wollte die Bude gerade auf Airbnb einstellen.“ Wir fackeln nicht lange, in drei Monaten würde ich in seine Wohnung ziehen. Sofort stürze ich mich in meine Tagträume, male mir alles aus, was ich unternehmen möchte, wie ich meine Freizeit gestalten könnte, wenn ich nicht mehr im Großstadttrubel von Berlin bin.

Dieses Mal spüre ich auch: Es wird klappen. Ich bin tief drinnen überzeugt davon, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Der Freelance-Job läuft, die Wohnung in Berlin kriege ich problemlos weiter untervermietet, mein Hausrat ist so stark geschrumpft seit dem Auszug aus der großen Wohnung, dass mich hier kein Ballast mehr zurückhält und die Ehe ist geschieden. Berlin hat, für jetzt, sowas wie einen Abschluss gefunden.

Ich stehe an einem Scheidepunkt und entscheide mich für den Neustart, oder zumindest einen Kopfsprung ins Ungewisse. Wohlwissend aber, dass es immer ein Sicherheitsnetz in Berlin für mich gibt. Wenn sich die Erfüllung des vermeintlich großen Traums nicht mehr richtig anfühlt, kann ich immer zurückkehren. Es ist am Ende besser es einmal auszuprobieren und Gewissheit zu erhalten, also es nie versucht zu haben und sich immer zu fragen „Was wäre wenn…“

Andere Länder…

Von Juni bis August checke ich täglich die Nachrichten rund um Corona, sowohl in den norwegischen als auch deutschen News. Je nachdem, wie sich die Zahlen in Deutschland entwickeln, kann mir unter Umständen eine Einreise verwehrt bleiben. Doch obwohl Deutschland eine Woche vor meiner Einreise zum „roten“ Herkunftsland erklärt wird (mehr als 20 positive Fälle auf 100.000 Einwohner), darf ich einreisen. Sofern ich nachweisen kann, dass ich eine Bleibe habe, die eine Quarantäne erlaubt. Das bedeutet, dass Campingplätze und Hostels ausscheiden, denn dort werden Bäder geteilt. Der Nervenkitzel hält für mich bis zum Einreisetag an, denn ich weiß nicht, was für Fragen mich an der Grenze erwarten würden.

Wie so oft war alle Sorge zu viel, denn den Grenzbeamten interessiert nicht, wie lange ich bleibe, noch was für eine Unterkunft ich habe. Ob ich die 10-tägige Quarantäne gewährleisten kann, scheint egal zu sein. Dennoch trage ich in den Öffis meinen Mund-Nase-Schutz und kassiere einige irritierte Blicke. Was in Berlin längst zur Normalität geworden ist, ist in Oslo eben anders: keiner trägt einen Schutz. Auch im Supermarkt trägt niemand einen Mundschutz, dafür stehen an allen Eingängen zu Läden Spender mit antibakteriellem Spray und Gel. Leider aber eben auch nur antibakteriell, nicht antiviral. Für Oslo scheint es zu funktionieren.

Erste Bestandsaufnahme nach 3 Wochen

Jetzt bin ich seit drei Wochen in Oslo, also gerade so lang, wie ein langer Urlaub. Vieles hat sich gefunden, vieles aber auch noch nicht. Während ich mich schon registriert habe und im November meinen Anmeldungstermin bei der Polizei habe, laufe ich manchmal noch wie ein kopfloses Huhn durch die Stadt. Ich verfranse mich immer wieder und merke, dass alles, was anders ist, manchmal ein ganz schön lautes Grundrauschen im Kopf verursacht. Gleichzeitig habe ich schon viele meiner Freunde getroffen, den ein oder anderen hochprozentigen Abend verbracht (natürlich NACH der Quarantäne) und gucke mich nach Coworking-Spots um. Denn irgendwie möchte man ja auch mal unter Leute kommen.

Die ersten Erkundungstouren im Oslofjord habe ich schon unternommen, eine Yogastunde auf dem Brim-Explorer unternommen, einen Großteil der Ortsteile zu Fuß erkundet und mir einen Account für die Wohnungssuche angelegt.

War früher alles leichter?

Offen gestanden hatte ich die die Eingewöhnung von meinen Jahren in Schweden einfacher und smoother in Erinnerung, aber es ist eben doch was anderes, ob man alleine loszieht, oder mit einem Partner an der Seite. Auch die 13 Jahre Altersunterschied machen mit Sicherheit einen Unterschied. Mein Vorteil dieses Mal ist, dass ich bereits fließend schwedisch spreche, das langsam in Richtung norwegisch morpht, das hier gern svorsk (svensk-norsk) genannt wird. Damit habe ich am Alltag nur selten Verständigungsschwierigkeiten, kann alles lesen und bekomme nur bei Personen, die sehr schnell oder mit Dialekt sprechen große Augen.

Gerade ist noch alles Ungewiss. Ob ich auf Dauer hier bleibe, ob es ein paar Monate, Jahre oder für immer wieder, weiß ich noch nicht. Aber nach einer so kurzen Zeit muss ich auch noch nichts entscheiden. Ich lasse es auf mich zukommen und vertraue drauf, dass alles so kommt, wie es kommen soll.

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